Nachdem mein neues Buch „Tölt besser reiten“ erschienen ist, hat mir die Journalistin, Fotografin und Islandpferdereiterin Karen Diehn einige Fragen gestellt zum Thema „Welche Haltung sollte ein Pferd im Tölt einnehmen?“.
Hier kommt unser ganzes Interview – mit passendem Fotomaterial.
Im Kapitel „Gymnastizierung von Gangpferden“ geht es unter anderem um die Tragfähigkeit im Tölt und um die Haltung im Tölt im Verlauf seiner Ausbildung. Viele Freizeitreiter möchten ja vor allem eins mit ihrem Pferd: entspannt durchs Gelände tölten. Ist dafür nicht eigentlich die freie Selbsthaltung, also die Form, die das Pferd von sich aus einnimmt im Tölt, die Sinnvollste?
Kaja: Zunächst muss man einmal festhalten: Das Pferd weiß nicht, welche Form oder Haltung die beste oder gesündeste ist im Tölt. Es wird immer die einnehmen, die ihm am bequemsten, am bekanntesten erscheint oder die der Reiter mit seiner Hilfengebung herstellt.
Freie Selbsthaltung, wie ich sie verstehe, nimmt ein Pferd ein, um erste Balance und Taktsicherheit im Tölt zu finden. Das Pferd wird nicht durch die aktive (Hand-) Einwirkung des Reiters in diese Haltung gebracht oder dort gehalten. Das Pferd läuft in einem recht horizontalen Gleichgewicht mit offener Ganasche und dem Genick als höchsten Punkt.
Die freie Selbsthaltung ist ein erster Schritt, um von dort aus gymnastizierend weiter zu arbeiten und zu einer tragfähigen Balance des Pferdes zu kommen. Sie ist kein Endzustand, in dem man das Pferd belassen sollte. Denn auch wenn die eigene reiterliche Zielsetzung ist, dass man “nur ein bisschen ausreiten gehen will”, entbindet das den Reiter nicht von der Verantwortung für die Gesunderhaltung seines Pferdes, egal ob es Tölt gehen kann oder nicht.
Aber ist es nicht eigentlich erstrebenswert, dass man Tölt irgendwann einmal ohne große Einwirkung am losen, durchhängenden Zügel reiten kann?
Kaja: Das Reiten am losen Zügel ist ein sehr erstrebenswertes Ziel. Auf dem Weg dahin komme ich um eine gewisse Form der Anlehnung, wie leicht auch immer, einen Zügel Kontakt an der Nase oder am Gebiss nicht herum. Mit dem Zügelkontakt an Hals, Gebiss oder Nase nehme ich in Kombination mit Sitz und Schenkel Einfluss auf Stellung, Biegung, Tempo, Trittfrequenz, Schulterfreiheit und Hinterhandbeugung. All dies sind Teile, die ein Pferd gesund formbar machen.
Das Tölten am losen Zügel darf nicht mit auseinandergefallenem Reiten verwechselt werden. Es wird nicht dadurch erreicht, dass man den Zügel “wegschmeißt” und nicht anfasst, sondern sollte das Ergebnis guter Ausbildung sein, die es ermöglicht. Um dorthin zu kommen, braucht man zuvor eine Form der (leichten) Anlehnung, also eine Kommunikation über Gebiss oder Nase.
Übrigens ist diese leichte Form der Anlehnung für die meisten Gangpferde die Voraussetzung dafür, dass sie Tempo, Balance, eine bestimmte Spannungssituation und damit den Tölt und seinen Takt überhaupt halten können.
Wie sieht rückenstabiler und damit gesunder Tölt aus? Woran erkenne ich ihn?
Kaja: Tölt ist eine sehr komplexe Gangart, die mit viel Energie und Körperspannung ausgeführt wird. Es passiert leicht, dass man einen nicht-tragfähigen Rücken übersieht, weil Tölt mit positiver Energie und Anspannung entstehen kann, genauso wie aus negativer Verspannung heraus. Deswegen sind übrigens Taktklarheit und Sitzbequemlichtkeit keine zuverlässigen Zeichen dafür, dass der Tölt gesund ist und das Pferd rückenstabil läuft.
Rückenstabiler Tölt kommt unter den gleichen Voraussetzungen zustande wie im Trab oder Schritt. Er ist u. a. abhängig von einem graduell abgekippten Becken, einer unter den Schwerpunkt fußenden Hinterhand, einem entspannten Unterhals und etlichen anderen Faktoren.
Einen gesunden Tölt kann man unter anderem daran erkennen, dass das Pferd beweglich, biegsam, tempo- und haltungsvariabel bleibt und ob man sich einer gedehnten oder versammelten Haltung annähern kann. Und daran, dass das Pferd jederzeit in einen entspannten Schritt entlassen werden könnte
Was verstehst Du unter “haltungsvariabel”?
Kaja: Um die tragende Muskulatur des Pferdes zu trainieren, sollten verschiedene Balanceformen reitbar sein: horizontales Gleichgewicht sowie Annäherungen an Dehnung und Versammlung. Eine bestimmte Haltung ist kein Endzustand, den man, wenn man ihn einmal erreicht hat, dauerhaft beibehält. Es sind Zwischenstufen, die man im Wechsel reiten sollte. Diese Variabilität hält das Pferd nicht nur gesund, sondern locker, beweglich und durchlässig.
Wer mehr zum Thema Tragfähigkeit im Tölt, Haltung und Formgebung aber auch zu anderen Themen rund um’s Thema Töltreiten wissen möchte: Mein Buch „Tölt richtig reiten“ ist im Verlag Müller Rüschlikon erschienen und überall dort erhältlich, wo es Bücher gibt.